Ängste, Lichtblicke und vorsichtige Rückreisepläne
Einige Fragen wurden mir in den letzten Wochen immer wieder gestellt. Die will ich hier nun mal öffentlich beantworten, denn es ist meiner Erfahrung mit einem Blog ähnlich wie im Klassenzimmer: ein(e) Mutige(r) stellt die Frage, die andere auch gehabt hätten :-) .
Etwas verwundert werde ich ab und zu gefragt, ob ich so allein gut zurecht komme. Tatsächlich ist mir kein bisschen langweilig. Als Autodidaktikerin, Hobbybäckerin, Hörspielliebhaberin und Ideenschleuder ist es für mich einfach mich zu beschäftigen.
Manche von Euch haben gefragt, ob mir mein Abenteuer nicht Angst macht und ob ich mich nicht einsam fühle. Ich lese, höre und spüre:
Das was ich gerade tue, wäre wohl nicht für jede Frau das Richtige. Die einen würden sich einsam fühlen, die anderen können es sich nicht vorstellen allein unterwegs zu sein, schon gar nicht so lange.
Gerne beantworte ich diese Fragen indem ich Euch einen Rückblick gebe.
Die vergangenen zwanzig Tage
Ich habe im Städtchen Albufeira bei zwei Privatpersonen gewohnte, die ich jedoch nie zu Gesicht bekommen habe (airbnb).
Zuerst war ich nahe der Altstadt in dem Studio mit dem schönen Meerblick, mit Morgensonne und dem ultrabequemen Bett (siehe letzter Beitrag).
Nach 10 Tagen zog ich knapp einen Kilometer weiter in ein Studio im 7. Stock.
Viel mehr Meer kann man nicht sehen. Die Sicht war grandios und fast den ganzen Tag konnte ich die Sonne geniessen. Nur am Morgen musste ich mich gedulden, weil die ersten Strahlen erst gegen 11 Uhr mein Schreibtischen erreichten.
Mein neues zu Hause stand neben drei weiteren Blöcken, mit dem klangvollen Namen Janelas do Mar (Fenster zum Meer).
Ich war sehr froh, als ich in dieses Studio im Hochhaus ziehen konnte. Daran änderte auch der Abfluss im Badezimmer, der ganz fürchterlich stank, nichts. Eben so wenig die Invasion von Ameisen, die sich unmittelbar nach meinem Umzug über meine Lebensmittel hermachte.
Es war schön gewesen in der kleinen Wohnung neben der Altstadt. Aber ab 15 Uhr wurde es doch sehr kalt im Zimmer und alle 30-60 Minuten fuhr, für mich gut sichtbar, beim Busbahnhof ein Auto mit einem grünen Aufkleber oder ein weisses Auto mit einem Lautsprecher vorbei und trompetete eine Corona-Warnung. Polizeikontrolle. Beides hat mir mit der Zeit zugesetzt.
Die Dauerkontrolle versetzte mich ständig in Alarmbereitschaft und schürte meine Befürchtungen, ich könnte ungewollt Ärger bekommen. Ausserdem - so real die Coronakrise ist - es scheint mir doch unnötig, ständig daran erinnert zu werden. Wir können sowieso nur eines tun: Nichts. Zu Hause bleiben und abwarten wie die Kurve sich entwickelt.
Etwas unruhig war ich auch, weil ich nicht immer alles verstehe, was in den Nachrichten an News, Geboten und Verboten mitgeteilt wird. Das "triggerte" meine (alten) Ängste vor harscher Kritik, harten Konsequenzen oder einer teuren Abstrafung heftig an. Das wurde durch die omnipräsenten Polizeiautos nicht besser.
Doppelt kontaktlos
Ein Knackpunkt ist im Moment, dass ich nun tatsächlich ganz alleine bin. Die meisten Touristen sind weg und die Portugiesen sind mehr als zurückhaltend und distanziert in dieser Corona-Zeit.
Es wird nicht nur Abstand gehalten. Nein, es geht noch viel weiter:
- man spricht sich nicht mehr an
- man schaut sich nicht mehr an
- man lächelt nicht mehr, sondern
- guckt ängstlich-misstrauisch (wohin eigentlich?)
- wendet den Blick ab oder
- schaut permanent auf den Boden.
Dass ein Lächeln ansteckend sein kann, weiss ich ja. Aber das Virus wird man sich so kaum holen - oder bin ich falsch informiert? Also ich habe entschieden jeden der Blickkontakt aufnimmt, ebenfalls anzuschauen und anzulächeln, wenn ich auf Einkaufstour bin oder spazieren gehe. Ich glaube, ich bin nicht die Einzige, der dies wohl tut.
Manchmal bin ich traurig, über den fehlenden Kontakt, aber ich fühle mich doch immer noch zur Menschheit zugehörig und deshalb weder abgeschnitten noch einsam; höchstens mal etwas allein oder "sozial-emotional unterversorgt". Doch wenn ich mir klar mache, dass ich mitten in verrückten Zeit und in einem abenteuerlichen Leben stecke, belastet es mich nur temporär.
Entgegen kommt mir natürlich, dass ich sehr gerne allein bin. Als Schreiberling bin ich ohnehin oft lange zu Hause und alleine und ich weiss, dass ich jederzeit die Möglichkeit habe mehrere Personen anzurufen, wenn mir danach ist. Ich verabrede mich auch regelmässig telefonisch mit meinen Lieblingsmenschen.
Ausserdem habe ich sooooo viel zu tun...
- Portugiesisch lernen, damit ich mehr mitbekommen, wenn jemand etwas sagt (meistens verstehe ich Bahnhof, wenn überhaupt :-) )
- Französisch weiterlernen, weil ich das hier in Portugal immer wieder gut brauchen kann und
- überlegen, wie ich mein Leben an die Coronakrise anpassen muss, will und kann.
Informationslücken
Ganz anders war es natürlich noch, als ich im Hostel in Porto wohnte. Jeden Abend war die Küche voll besetzt. Ständig kochte und ass eine(r) etwas. Einer nahm den Gesprächsfaden auf. Ein Anderer stieg darauf ein und am Ende wurde quer über den Tisch englisch, portugiesisch, arabisch und französisch gesprochen, so dass jeder zumindest schwerpunktmässig mitbekam, worum es im Gespräch geht. Jeder fand eine Person, mit der er einige Sätze sprechen konnte. Diese konnte in eine andere Sprache übersetzten, damit jeder in der Gruppe antworten konnte, was dann wiederum zurückübersetzt wurde.
Ich fand das herrlich. So wurden auch Informationen ausgetauscht über Ausflugsziele, Lebenssituationen, Sehenswürdigkeiten, Einkaufsmöglichkeiten und natürlich - aktuelle Lage, die Coronakrise.
Daraus entstand, dass man sich zum gemeinsamen Wäschewaschen im Waschsalon um die Ecke verabredete (weil die Maschine für eine Person viel zu gross ist) . Man sass wartend vor der Maschine, schaute auf die Tür, die sich immer noch nicht öffnen wollte und erzählte sich dabei sein Leben. Man traf sich am nächsten Tag im Stadtpark wieder und plauderte, half sich mit Salz, Zucker, Öl aus und teilte Essensreste. So bildeten sich neue Grüppchen, die irgendwann gemeinsam die Weiterreise antraten, ein paar Stunden im Zug verbrachten oder gemeinsam weiter wanderten. Das alles entfällt nun natürlich total.
Von Albufeira nach Faro
Entsprechend unsicher war ich letzte Woche, ob ich meinem Wunsch von Albufeira wegzugehen, folgen soll. Ob das verboten oder erlaubt ist, konnte ich nicht herausfinden.
Ich wollte mich 30 km näher zur spanische Grenze verschieben. Nach Faro, wo es einen Flughafen gibt. Für den Fall, dass die Spanier mich auch in ein paar Wochen partout nicht mit dem Zug oder Bus durch ihr Land reisen lassen wollen.
Im Hostel hätte ich längst gefragt, wer was über die aktuelle Lage weiss. Weil mir diese Informationsquelle fehlte, zögerte ich den Billettkauf bis am Vorabend hinaus. Ich rechnete jederzeit mit überraschenden Ansagen seitens Regierung. Aber es kam nichts.
Während meinem Aufenthalt im 7. Stock war ich allerdings ruhiger geworden. Hier fuhr nur ein- bis zweimal pro Tag ein kleiner, weisser Bus mit Lautsprecher unten am Block vorbei und machte seine unverständliche "Corona-Ansage" in Portugiesisch und Englisch. Die übrige Zeit konnte man Corona einfach mal vergessen.
Ausserhalb der Altstadt sah ich auch wieder Bäume und Büsche und konnte in den Wiesen und Blumenfelder herumspazieren.
Das tat mit gut und half mir, mich darauf zurück zu besinnen, dass ich bewusst gewählt hatte in Portugal zu bleiben. Ich hatte es für unverantwortlich gehalten durch Spanien zurück zu reisen. Die Lage war bereits anfangs März ausser Kontrolle. Zudem hustete ich selbst zu diesem Zeitpunkt was das Zeug hielt und ich wusste nicht, ob ich ansteckend bin und wenn ja womit.
Im Schneckentempo auf dem Rückweg
Nun gilt es mit allem was aus dieser Entscheidung folgt verantwortungsvoll umzugehen und meinen Weg zurück in die Schweiz, zwischen Auflagen und Rahmenbedingungen, zu suchen. Es gilt zu prüfen, was möglich ist und die Möglichkeiten wahrzunehmen, auch wenn nicht garantiert ist, dass ich dabei alles richtig mache. Das schürt zwar einige Ängste, aber ich weiss ja, dass Angst nichts darüber aussagt, ob man etwas tun oder lassen soll.
Es gibt ein Bauchgefühl. Das sagte mir: Wenn ich es nicht mache, werde ich es bereuen und als alte Frau frustriert auf einer Parkbank auf Tauben und kleine Kinder schimpfen. Und das ist blöd. Im Alter sollten einen die Leute mögen. Man weiss nie, wofür man die Kinder, auf die man schimpft, noch braucht. Ausserdem hege ich den Verdacht, dass die Welt nur deshalb so gross gemacht worden ist, damit man sie sich ansieht. Alles andere wäre ja wohl massive Verschwendung.
Zitat aus "Mein Date mit der Welt" von Waltraud Hable, Seite 12, 1. Auflage 2018, DuMont Reiseverlag, Ostfildern
So wanderte ich am Sonntag also eineinhalb Stunden vom Studio aus zum ausserhalb gelegenen Bahnhof "Albufeira-Ferreira" und fuhr im fast leeren Zug nach Faro. Ich hatte Glück, es gab keinerlei Probleme.
Die offene Frage ist...
Als Spanien letzte Woche ankündigte, die Hotellerie erst Ende Jahr wieder in Betrieb nehmen zu wollen, habe ich leer geschluckt. Das bedeutet, ich muss entweder einen Weg finden, um Spanien zu umgehen oder klangheimlich in verkehrter Richtung dem Jakobsweg entlang zurückwandern, fliegen oder schwimmen (die letzten beiden Varianten mach ich nur im Notfall :-) ).
Ansonsten muss ich die portugiesischen Behörden ab Ende Mai um eine verlängerte Aufenthaltsgenehmigung bitten oder einfach den Realitätstest an der Grenze machen. Uah... Bürokram, Ämter, Polizei... Da leuchtet sie dann auf, die rotblinkende Leuchte der Angst-Alarmanlage.
Wenn ich das merke, erinnere ich mich daran, dass erstens nicht viel passieren kann (14 Tage Extraquarantäne oder eine - sicherlich nur kurz andauernde "Verhaftung" an der spanischen Grenze ;-) ). Zweitens, wenn doch etwas Gröberes passiert, kann ich zumindest sagen, dass ich wirklich ein Abenteuer erlebt habe.
Wenn man ein Leben ohne Angst führen will, darf man sich niemals und unter keinen Umständen aus der Komfortzone hinausbewegen. Will man aber wachsen- und letzlich ist es das, was uns glücklich macht -, dann hat man keine andere Wahl, als seine Komfortzone immer wieder zu verlassen. Wir müssen also begreifen, dass es positiv ist, Angst zu haben.
Zitat aus "Hero" von Rhonda Byrne, Seite 116, deutschsprachige Ausgabe Knaur Verlag München 2013
Faro- die letzte Station und der Anfang von Neuem
Eilig habe ich es allerdings noch nicht. Faro eroberte mein Herz ebenso wie es Torre de Moncorvo getan hat. Wen wundert es: die Lagune ist wunderschön.
Auch die Stadt könnte mir gefallen, aber ich wohne etwas ausserhalb und werde mit dem Stadtbummel solange warten, bis Portugal aus dem Dornröschenschlaf erwacht.
In der Zwischenzeit schreibe ich fleissig an meinem Buch. Ausserdem hat mein Nachdenken darüber, wie ich das Jahr 2020 weiter gestalten will zwei neue Verdienstmöglichkeiten zu Tage gefördert. Ich bin sehr zuversichtlich, dass ich dadurch mein Einkommen sichern kann, auch wenn ich im Moment keine Aufträge für die Videoproduktion oder Schulungskonzepte bekomme. Im Idealfall kann ich dadurch auf Weltreise gehen - äh... bleiben ;-)
Im Juni/Juli würde ich aber gerne im Jura mit "Le Grand Tour de Suisse" beginnen und heute Morgen war ich mir ziemlich sicher, dass ich von Oktober/November bis zum Februar gern eine Bleibe in Büren oder unmittelbarer Umgebung hätte. Zum Überwintern quasi. Das hätte unter anderem ein paar administrative Vorteile.
Da ich das, was ich in Portugal wirklich sehen wollte verpasst habe - die Mandelblüte - würde ich das allenfalls nächsten Februar nachholen. Wenn Corona es im 2021 zulässt. Aber das ist ja noch weit weg. Ich schlafe nochmal drüber und lass Euch mehr wissen, wenn ich mehr weiss.
Euch wünsche ich einen guten Start in die Lockerungen. Hebet eu sorg und gnüssed de Coiffeur! ;-)
Bildquelle:
Papierfiguren in Quarantäne von congerdesign auf Pixabay
Essen am Tisch von Pexels auf Pixabay
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